
Foto © Hans Wagenmann
Eine Soloperformance mit Textfragmenten aus dem Langgedicht „Alfabet“ der dänischen Dichterin Inger Christensen (geb. 1935 – gest. 2009), 13. Abschnitt, dem Buchstaben „M“ zugeordnet. Die Performance, – sie ähnelt einer bewegten Installation, ist aber ebenso eine Hommage an den Choreographen und Tänzer Raimund Hoghe, der 2021 überraschend starb.
Inger Christensen schreibt in ihrem Essay „Geheimniszustand“: „Hier, indem man versteht, daß die Brücke gebaut werden muß, indem man sich bewegt, hier muß man seine Worte mit Bedacht wählen. Und Bedacht bedeutet nicht notwendigerweise Vorsicht, es kann auch Mut und Entschlossenheit, Klarsicht und Großherzigkeit bedeuten. Man kann sich vorschleichen oder um sein Leben springen und in beiden Fällen merken, daß Boden unter den Füßen ist. Man kann kriechen und klettern, tanzen und schweben oder sich selbst überlisten ganz gewöhnlich zu gehen. So oder so ist es das Einzige, das etwas bedeutet, daß man seine Worte mit solcher Bedacht wählt, daß die Phänomene den Worten entgegenkommen, damit die Brücke weiterhin betreten werden und der leere Raum zu Landschaft gefüllt werden kann.“
Franz Josef Cramer schreibt zur Arbeit von Raimund Hoghe: „Es gibt auch gar keine Illusion, sondern nur die Wahrheit in der Form, die keinen Widerspruch braucht (auch wenn sie ihn zulässt). Denn die Wahrheit liegt nicht in der Nachahmung oder in der Beschwörung oder im Schein. Sie liegt im Tun.“
Wie kann beides ein Tanz sein, der nie das Werden verlässt? Die Performance gibt darauf keine Antwort, vielmehr wird sie darin zu einem leiblichen Moment von „Das nackte Hemd vor sich halten“, wie es in einem der ihr zugehörigen Arbeitshefte heißt. Sie ist ein Gedenken an beide Künstler, ihre Form der Literatur, sei es in der Lyrik von Inger Christensen oder in den choreographischen Ausprägungen von Raimund Hoghe.
„die aprikosenbäume gibt es, die aprikosenbäume gibt es“, mit diesem Anfang voller rhythmischer Benennung, beginnt das „Alfabet“ von Inger Christensen, 1981 erstveröffentlicht. Ein Schritt für Schritt der Welt näherkommen. „…als würden die sterne durch berührung/sofort weich“ ist nach „…und den tod/anflüstern er möge gehn“ (2021), die zweite Performance, in der sich Hans Wagenmann mit diesem Text auseinandersetzt. Sein Tanz wird darin einem Gedicht, einer Spur ähnlich, zu Händen und Armen, Schritten, in denen dieses „Näherkommen“ eingewebt ist. Was ist dann Welt? Wer ist dann der Andere? Dieser Andere, das war über zwei Jahrzehnte hin in seinen Stücken, ihrer Ästhetik für mich immer wieder Raimund Hoghe. Nun ist er seit über einem Jahr tot. Es bleibt der fehlende Moment, ihn angesprochen zu haben. Aber es ist jetzt der Augenblick, diesen Schritt zu beginnen, als wäre er noch hier. Es ist jetzt der Augenblick ein Shirt über den Arm zu legen, als würde dies hören können, als wäre in ihm das Schmelzen von Schnee sichtbar.
„…. als würden die sterne durch berührung/sofort weich“ | Trailer
Duur
30min
Doelgroep
Volwassenen
Première
MIMAGES 2022
Idee, Konzept, Performance:
Hans Wagenmann
Kleidung:
Petra Bartels
Künstlerische Beratung:
Friederike Rettig

Hans Wagenmann
geb. 1967, ist freischaffender Künstler und Autor. Er tritt seit über zwei Jahrzehnten mit Soloperformances in Erscheinung, die sich im Grenzbereich von Performance, Bildender Kunst und Literatur verorten. Hans Wagenmann ist ausgebildeter Eurythmist, Abschluss 1992 und 1993, sowie einem Masterabschluss 2009. Seine Arbeiten stellen sich in ihren Tiefenschichten gesellschaftlichen Thematiken. Die Fragilität des Menschen prägt in vielschichtiger Weise seine Ästhetik. Hans Wagenmann veröffentlichte auch Werke im Bereich der Literatur und Videokunst. Er publiziert Kritiken, sowie Essays und verantwortet das Videoeurythmiefestival „Gleis 2“. Seit Jahren arbeitet er an „Heimaten“, einer grenzüberschreitenden performativen Installation, dessen einzelne Teile, wie u.a. „erzähl mir unser märchen“ bereits an mehreren Eurythmiefestivals aufgeführt wurden. Seine Arbeitsweise ist geprägt von Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Künstlern, der Kenntnis ästhetischer Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts, den Methoden Künstlerischer Forschung, sowie den Bedingungen seiner Individuation. Ein Charakterzug seiner Performances und künstlerischen Arbeiten ist, dass sie wiederholt den Bühnenraum verlassen, sich städtischen, industriellen, sowie Natur– und Landschaftsräumen aussetzen, sich dort ihrer Form vergewissern. Ein weiteres Merkmal seiner Performances ist der dialogische Einbezug und Umgang mit Materialien und Gegenständen, die ihm zu Partnern seines Tanzes werden. Bewusst finden seine Performances dabei auch aus Fragmenten und Brüchen ihren Verlauf, ihre Körperlichkeit auf. Weniger Gewissheit als der Moment, den Fuß erneut auf den Boden zu setzen, einen weiteren Schritt zu beginnen. Suzan Tunca schreibt zu einer Arbeit von Hans Wagenmann, die er 2019 in Den Haag zeigte: „Hans Wagenmann enters the space with a big piece of cardboard. In how he enters the space some resonance with Joseph Beuys seems to enter with him. The Audience know that Hans will perform an extract from his “Heimaten” cycle. Hans treats the piece of cardboard, his movement and the space will clear yet seemingly not fully pre-defined intentionality, as if he invites the onlooker to fill his rather abstract etude on body, movement, space and cardboard with being the “Heimat” of homeless people and remember a homeless man whom I had observed on the way from The Hague CS to Pulchri.”